Während von den Behörden im Hegebezirk Kaisergebirge laufend hohe Abschusszahlen vorgegeben werden, sinkt der Bestand von Gamswild seit zehn Jahren. Berufsjäger Gerald Schittmayer sieht daher Handlungsbedarf.
Wenn Berufsjäger Gerald Schittmayer morgens um 3.30 Uhr aufsteht, ist das sein tägliches Ritual. Vor ihm: so gut wie immer ein langer, anstrengender Tag in einem der größten Jagdgebiete des Tiroler Unterlandes. 3.300 Hektar verteilt auf drei Reviere im Kaisertal – vom Kaiserbach bis hoch zu den Gipfeln des Zahmen und Wilden Kaisers – am Steinberg und am Brentenjoch betreut der gebürtige Steirer seit 2015. Das Revier im Kaisertal ist großteils im Besitz der Stadt Kufstein und seit rund 70 Jahren an die deutsche Industriellenfamilie Henkel verpachtet, die auch in Kufstein Wurzeln geschlagen hat und Schittmayers Arbeitgeber ist. Fünf Jagdhütten, acht Fütterungen und rund 60 Jagdsitze müssen laufend in Schuss gehalten werden. Ein Fulltimejob. Für den Revierjäger aber viel mehr als das: „Für mich ist das nicht nur mein Beruf, es ist meine Berufung.“ Brennholz machen, Wiesen mähen, Bäume verstreichen, Fütterungen bauen. Es gibt immer was zu tun. „Für die Jagd selbst bleiben da vielleicht fünf Prozent meiner Zeit“, erzählt der 45-Jährige. Aber die sei ohnehin nur sekundär. Sein Herzblut gilt der Hege des Wildes.
Gamsbestand ein Drittel gesunken
Und die ist dringend nötig. In den vergangenen zehn Jahren ist der Gamsbestand im Kaisergebirge um mehr als ein Drittel gesunken. Ein dramatischer Rückgang, der auch den Genpool dezimiert und irgendwann zur Ausrottung führen könnte, wenn nicht gegengesteuert wird. Gründe für den Rückgang sieht Schittmayer mehrere: Zum einen gibt es mehr Fallwild, weil auch das Wild durch den Klimawandel Probleme bekommen hat. Bis zu 15 Stück verendetes Gamswild findet der Berufsjäger pro Jahr, zum Teil befallen mit Parasiten wie dem Leberegel oder dem roten Magenbandwurm. Schittmayer meldet dies der Behörde und zieht das Fallwild dann von seinem Abschussplan ab, um den Bestand nicht zusätzlich zu dezimieren. Der liegt im Kaisertal – behördlich festgelegt – für dieses Jahr bei 17 Stück Gamswild, obwohl eine Richtlinie des Jägerverbandes nur maximal 12 % des Bestandes erlauben würde; derzeit also 14 von 117 gezählten Stück Gamswild. Dabei ist Schittmayer schon froh, dass ihm nicht mehr als die 17 Stück vorgeschrieben werden, denn sein Wunsch wäre es überhaupt, den Gamsbestand durch professionelle Hege wieder zu heben. Doch das kann er nicht allein schaffen.
Hegegemeinschaft, um Gamsbestand künftig zu sichern
„Brauchen würde es dazu zumindest eine Hegegemeinschaft über den ganzen Kaiserstock, weil ich als Jäger im Kaisertal allein gar nichts bewirken kann“, erklärt Schittmayer im Gespräch mit QUER. Grund dafür: Das Gamswild wandert und wird dann in anderen Revieren vermehrt geschossen, wo die Trophäe im Vordergrund steht. Zwischen 500 und 2.700 Euro kann man für einen Abschuss verlangen. Je nach Altersklasse. Oft würden dadurch die Kosten für die Jagdpacht finanziert. Pächter kleinerer Reviere akzeptieren daher gerne auch höhere Abschussvorgaben der Behörden. Manche fordern sie gar, „was langfristig für den Bestand aber kontraproduktiv ist“, bestätigt auch Othmar David, der Hegemeister für das Kaisergebirge. Er weiß auch, dass in den kleineren Revieren in letzter Zeit in der Klasse II im Alter von 4-7 Jahren zu viel beschossen wurde. Eine Klasse, die eigentlich geschont werden sollte, um einen gesunden Altersklassenaufbau zu gewährleisten.
Der jährliche Kampf mit den Behörden um niedrigere Abschusspläne
Aber nicht nur den zu hohen Beschuss der eigenen Zunft beklagen Schittmayer und der Hegemeister. Bei der Erstellung der Abschusspläne haben auch Waldbesitzer:innen und die zuständigen Förster:innen gemeinsam mit der Bezirksforstinspektion ein gehöriges Wort mitzureden. Und deren Interesse besteht naturgemäß darin, so wenig Wild wie möglich im Wald zu haben, um den Verbiss junger Bäume zu vermeiden, damit der Wald schneller wachsen kann. Und da wird auch schon mal nachgeholfen. So hat der Abschussplan für das Kaisertal im vergangenen Jahr gar 25 Stück Gamswild vorgeschrieben. Rund 21 Prozent des ohnehin niedrigen Gesamtbestandes. „Das aber auch erst nachdem wir interveniert haben“, verrät Schittmayer. Hegemeister Othmar David weiß, dass für 2020 eigentlich mehr als 30 Stück gefordert wurden, weil laut dem damaligen Förster angeblich der Verbiss viel zu hoch gewesen sei. Das stellte sich aber nach der unabhängigen Prüfung des Forstsachverständigen Dr. Stefan Fellinger als falsch heraus. „War der starke Verbissdruck (Bewertung: Dunkelbau) mit hohem Handlungsbedarf im Revier Kaisertal vorher mit 65 % beziffert, war nach dem Einspruch plötzlich überhaupt kein hoher Handlungsbedarf mehr gegeben. Im mittleren Handlungsbedarf (Bewertung: Hellblau) waren es gar nur mehr 18 %“, verdeutlicht Hegemeister Othmar David. „Da wollte 2019 der Förster der Stadt so richtig auf den Putz hauen“, hält er sich mit nachträglicher Kritik nicht zurück, „weil mit einem natürlichen Rückgang lässt sich das nicht mehr erklären.“
Altersklassenaufbau muss passen
Je nach Höhe des Fallwildes wird Gerald Schittmayer heuer maximal 2-6 Stück Gamswild entnehmen. Ein Wert von rund 15.000 Euro bei einem Aufwand für Pacht und Personal von rund 150.000 Euro im Jahr. Kein entnommener Bock wird dabei unter zehn Jahren, keine Gais unter zwölf sein, damit der Altersklassenaufbau stimmt; Hegeabschüsse ausgenommen. „Würde ich zu junge Böcke beschießen, kommen komplett unerfahrene in die Brunft, weil die Alten fehlen. Die Jungen hetzen sich dann gegenseitig in einer Jahreszeit, in der sie eigentlich Fettreserven für den Winter ansparen sollten“, erklärt Schittmayer nur einen der vielen Gründe, warum junges Gamswild geschont werden sollte, damit sich der Bestand erholen kann. Zweieinhalb Kilo muss sich Gamswild über den Sommer anfressen, um die kalte Jahreszeit zu überstehen. „Sind diese im Winter zu früh verbraucht, stirbt es“, weiß der Berufsjäger.
Wintersportler belasten Wildbestand
Dazu kommt auch noch, dass im hinteren Kaisertal der Wintersport die Ruhe des Wildes zunehmend stört. „An Spitzentagen standen schon mal 150 Tourengeher auf der Pyramidenspitze“, erinnert sich Schittmayer und fordert daher dringend auch Ruhezonen für das Wild im Kaisergebirge. Denn auch Tiere hätten – wie der Mensch – ein Recht zu leben und sollten nicht der Vergnügungssucht und dem wirtschaftlichen Druck des Menschen weichen müssen. In der Forstwirtschaft hieße es Wald vor Wild, „doch in einer gesunden Gesellschaft müssen Wald und Wild Platz haben“, fordert der Berufsjäger. Gäbe es den Menschen und seine wirtschaftlichen Bedürfnisse nicht, wäre das auch ohne Probleme möglich. Aber der Naturschützer sieht auch seine eigene Zunft unter Zugzwang, bei der er eine schwindende Jagdethik ortet. „Wir Jäger müssen uns wieder mehr als Anwalt des Wildes verstehen und dieses nicht als reines Wirtschaftsgut betrachten.“