Mehr als fünf Wochen ist es her, dass strikte Zugangsbeschränkungen für Wohn- und Pflegeheime vom Land Tirol erlassen wurden, um betagte Bewohner und Bewohnerinnen besonders zu schützen. Fünf Wochen, die zunehmend zur belastenden Herausforderung werden, weil die Sehnsucht wächst, sich wieder real zu sehen. Immer deutlicher wird klar, dass Telefonate und Videocalls auf Dauer persönliche Kontakte und auch Berührungen nicht ersetzen können. „Wir dürfen unsere Oma seit über vier Wochen nicht mehr im Altenheim besuchen. Noch geht es ihr gut, aber sie weint jedes Mal am Telefon“, schreibt eine Enkelin in einem Internetforum. 99 Jahre sei die Oma jetzt und die Enkelin fragt sich verzweifelt, ob sie sie jemals wieder in die Arme nehmen könne.
Lockerungen können zu erneutem Anstieg der Infektionen führen
„Natürlich wächst die Ungeduld“, räumt auch Gerold Stock vom Alten- und Pflegeheim Kramasch ein. Gerade durch die Lockerungen, die es jetzt im öffentlichen Leben gäbe. „Immer wieder bekommen wir Anfragen, ob es nicht doch möglich ist, dass es auch bei uns lockerer wird.“ Diese Erfahrungen macht auch Helmut Kronbichler, Heimleiter im Wohn- und Pflegeheim Ebbs. „Wir halten daher aktiv Kontakt zu den Verwandten und stoßen dort auch größtenteils auf Verständnis.“ Beide betonen, dass gerade jetzt wichtig sei, die vom Land Tirol erlassene Verordnung nicht aufzuweichen, weil durch die Lockerungen durchaus mit einem erneuten Anstieg an Infektionen zu rechnen sei.
„Von 29 Verstorbenen waren 22 Personen BewohnerInnen in Alten- und Pflegeheimen im Bezirk. Der Großteil davon war in einem hohen Lebensalter und hatte Vorerkrankungen“,
Land Tirol
75% der Todesfälle in Alten- und Pflegeheimen
Wie gefährlich das Virus für die Altersgruppe über 75 Jahre ist, zeigen die Todeszahlen im Bezirk Kufstein. „Von 29 Verstorbenen waren 22 Personen BewohnerInnen in Alten- und Pflegeheimen im Bezirk. Der Großteil davon war in einem hohen Lebensalter und hatte Vorerkrankungen“, heißt es auf Anfrage des Bezirksmagazins QUER! beim Land Tirol. Allein zehn Personen waren Bewohner des Marienheims in Reith im Alpbachtal. Mit 27 Bewohnern ein vergleichsweise kleines Heim. Und genau das macht es zusätzlich schwierig, weil kleine Heime der Ausfall von Personal noch härter trifft und die Möglichkeit Isolationsbereiche zu schaffen nur sehr beschränkt vorhanden sei. Darüber hinaus hätte man bis zuletzt versucht, Bewohner nicht in andere Heime zu verlegen, da dies zusätzlich enormen Stress für diese bedeutet. Noch mehr, wenn sie dement seien. Dass die Pfleger und Pflegerinnen des Marienheims trotz der schwierigen Lage verzweifelt gegen die Wucht des Virus angekämpft haben, betonten diese in einem offenen Brief an den Gemeinderat. Zu guter Letzt hat sich das Land Tirol im Fall Reith im Alpbachtal aber nach insgesamt 24 positiven Testfällen und einem damit verbundenen Personalmangel dazu entschlossen, alle Bewohner in umliegende Einrichtungen zu verlegen und das Heim vorübergehend zu schließen.
Übermenschliche Leistungsbereitschaft des Pflegepersonals
Auch das Wohn- und Altenheim Ebbs hat derzeit 14 infizierte Personen. Das mit 90 Bewohnern vergleichsweise große Heim hat nach Bekanntwerden der ersten Fälle in einem von vier Wohnbereichen eine Isolierstation eingerichtet, „auf der die infizierten Bewohnerinnen eine für ihre Lebenslage optimale Betreuung und Pflege erfahren“, betont Bürgermeister Sepp Ritzer auf Nachfrage des Bezirksmagazins. Anfang April sei dann in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt der Bezirkshauptmannschaft Kufstein die gesamte Einrichtung auf SARS-COV-2 getestet worden. „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten nur, wenn sie völlig gesund sind“, so der Ebbser Bürgermeister der den Heimmitarbeitern Rosen streut. „Ich möchte auf die herausragende Leistung des gesamten Teams im Wohn- und Pflegeheim Ebbs rund um Heimleiter Helmut Kronbichler und Pflegedienstleiterin Anni Mair hinweisen. Erst durch ihren teils übermenschlichen Einsatz beim kurzfristigen Aufbau einer Isolierstation, ihr Entgegenkommen bei der Diensteinteilung und bei der Betreuung unserer Bewohner unter schwierigsten Bedingungen, war es möglich, den größten Wunsch der uns anvertrauten Senioren zu erfüllen, so lange als irgend möglich im Heim zu bleiben.“ Auch zusätzlich bereit gestellte Zivildiener und Pflegerschüler hätten die Situation zunehmend entspannt, erklärt Heimleiter Helmut Kronbichler.
Testungen stehen ab sofort im Vordergrund
Aufgrund der Tatsache, dass gerade Altenwohnheime tirolweit zu Hotspots geworden sind, hat sich das Land Tirol entschlossen flächendeckend Testungen in allen 97 Tiroler Alten- und Pflegeheimen durchzuführen. 6.100 Tests seien bereits gemacht worden. Bis Ende der Woche werden rund zwei Drittel aller Heime durchgetestet sein, heißt es auf Nachfrage beim Land Tirol. Gleichzeitig würde an einer flächendeckenden Testung der MitarbeiterInnen der Mobilen Dienste gearbeitet. „Entsprechend der routinemäßigen Vorgehensweise werden die MitarbeiterInnen umgehend nach Vorliegen des positiven Testergebnisses abgesondert und außer Dienst gesetzt“, heißt es weiter.
Durchhalten sei jetzt besonders wichtig
Auch wenn die Situation nach fünf Wochen zunehmend belastend wird und die Sehnsucht täglich steigt, warnen sowohl Helmut Kronbichler vom Wohn- und Pflegeheim Ebbs wie auch Gerold Stock vom Alten- und Pflegeheim Kramsach vor einer frühzeitigen Lockerung der Maßnahmen. Stock hofft aber, „dass in zwei bis drei Wochen erste Kontakte unter bestimmten Auflagen wieder möglich sind.“